Cranach-Magazin

Aktuelles aus der Cranach-Forschung

Neue Forschung zu Cranachs graphischem Werk

Daniel Görres über das Projekt zur Erforschung der Zeichnungen und Druckgraphiken Cranachs

In seiner Lobrede des Jahres 1509 berichtet der Humanist Christoph Scheurl, Lucas Cranach der Ältere habe auf dem Weg in die Niederlande bei der Durchreise in einem Gasthaus ad hoc mit einem vorgefundenen Stück Kohle das Bildnis Kaisers Maximilians I. an die Wand gezeichnet, „dass es von allen erkannt und bewundert wurde“[1]. So anekdotenhafte und mit humanistischen Topoi gespickt Scheurls Bericht auch ist, er vermittelt doch einen Eindruck von der Wertschätzung, die Cranach schon von seinen Zeitgenossen für seine Zeichenkunst entgegengebracht wurde. Rund 300 Handzeichnungen Cranachs, seiner Söhne und Werkstatt-Mitarbeiter haben sich heute erhalten und bieten einen unmittelbaren Einblick in den künstlerischen Schaffensprozess, an dessen Anfang immer eine Zeichnung steht. Das Spektrum der überlieferten Werke umfasst flüchtig dahingeworfene Skizzen, Entwurfszeichnungen für Alltagsgegenstände und detailliert ausgearbeitete Porträtstudien gleichermaßen. Bekannter ist Cranachs Schaffen jedoch auf einem anderen Gebiet der graphischen Künste. Über 600 druckgraphische Werke, vornehmlich Holzschnitte, lassen sich heute auf ihn und seine Werkstatt zurückführen. Nicht zuletzt für die massenhafte Verbreitung der Lehren Martin Luthers spielten Cranachs Druckgraphiken eine entscheidende Rolle.

Lucas Cranach d. Ä., Hl. Georg und Venus und Amor

Links: Lucas Cranach d. Ä., Hl. Georg, um 1505, Feder, Pinsel, graue Tinte, weiß gehöht auf grau laviertem Papier (Ausschnitt), Szépmüészeti Múzeum Budapest; Rechts: Lucas Cranach d. Ä., Venus und Amor, 1509, Farbholzschnitt auf Papier (Ausschnitt), Staatliche Museen zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz, Kupferstichkabinett

In den zurückliegenden zehn Jahren hat das Cranach Digital Archive (cda) im Rahmen eines internationalen Verbundprojektes den Werkbestand an Gemälden und Archivalien systematisch erschlossen. Darauf aufbauend, begann im März 2023 für das cda eine neue Projektphase, die sich der Erforschung der Zeichnungen und Druckgraphiken widmet. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft und die Ernst von Siemens Kunststiftung fördern die interdisziplinäre Erforschung und wissenschaftlichen Erschließung des graphischen Werkes Lucas Cranachs d. Ä., seiner Söhne und der Werkstatt. In Kooperation mit dem Kupferstichkabinett der Staatlichen Museen zu Berlin, dem Deutschen Dokumentationszentrum für Kunstgeschichte - Bildarchiv Foto Marburg und dem Kupferstich-Kabinett der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden zielt das Projekt darauf, das graphische Werk in interinstitutioneller und interdisziplinärer Zusammenarbeit wissenschaftlich zu erschließen und mit hochauflösenden Abbildungen sowie kunsthistorischen und kunsttechnologischen Forschungsergebnissen in deutscher und englischer Sprache für Forschung und breite Öffentlichkeit im Internet frei zugänglich zu machen. Bei der Erforschung dieses komplexen graphischen Œuvres werden neben ikonographischen Fragestellungen auch objektspezifische Aspekte berücksichtigt und dokumentiert. Dazu gehören etwa verschiedene Druckzustände und Auflagen, die unter anderem Anhaltspunkte für die Verwendungszeiträume und die Verbreitung von druckgraphischen Werken liefern können. Eine weiterführende Untersuchung mit naturwissenschaftlichen Methoden soll die Grundlage für eine zuverlässigere kunsthistorische Bewertung von Authentizität, Datierung, Verbreitung und damit der zeitgenössischen Funktion und Bedeutung der Zeichnungen und druckgraphischen Werke liefern.

In der Zusammenschau von Malerei, Graphik und urkundlichen Quellen bieten sich neue Möglichkeiten des Erkenntnisgewinns, wie der Detailvergleich von Vorzeichnungen mit der ausgeführten Malerei oder die virtuelle Gegenüberstellung der Zeichnungen auf Papier mit der vorbereitenden Unterzeichnung auf der Gemäldetafel, die heute unter der Malschicht für das bloße Auge verborgen ist, im cda aber mit Hilfe von über 1600 Infrarot-Reflektogrammen sichtbar wird. Mit diesem Vorhaben verfolgt das Cranach Digital Archive das Ziel, das Schaffen eines der produktivsten Künstler der Deutschen Renaissance in seiner Gesamtheit abzubilden und wissenschaftlich einzuordnen.

Daniel Görres

[1] Zit. nach Heinz Lüdecke: Lucas Cranach der Ältere im Spiegel seiner Zeit. Aus Urkunden, Chroniken, Briefen, Reden und Gedichten, Berlin 1953, S. 51.