Cranach-Magazin

Aktuelles aus der Cranach-Forschung

Weltuntergang in der Lutherbibel

Dr. Sebastian Dohe von der Klassik Stiftung Weimar über Cranachs Apokalypse und die Kraft der Bilder

Erst der Klimawandel und dann die Pandemie: Ist nicht nur der Alltag, den wir kennen, bedroht, sondern auch unsere gesamte Zivilisation? Die Worte Weltuntergang und Apokalypse gehen um und führen uns direkt zu Cranach und dem Jubiläum der Bibelübersetzung durch Luther, das 2022 gefeiert wird.

Luthers Übersetzung des Neuen Testaments aus dem Jahr 1522 wurde begleitet von Illustration von Lucas Cranach d. Ä. – allerdings nur für einen kleinen Teil des Textes, die Offenbarung des Johannes, besser bekannt als Apokalypse. Der Erfolg sprach für sich: In nur 3 Jahren erschienen 42 Neuauflagen. Die Gesamtausgabe von Luthers Übersetzung mit Altem und Neuem Testament folgte 1534 in zwei Bänden. Neben den Illustrationen der Apokalypse waren nun auch zahlreiche Darstellungen zum Alten Testament enthalten. Andererseits wurden die alten Illustrationen überarbeitet und ein neuer Künstler, der Cranachs Vorlagen variierte und den wir nur als „Monogrammist MS“ kennen, zeichnete nun verantwortlich. Von dieser Lutherbibel hat sich in Weimar ein ganz besonderes Exemplar erhalten, das nach dem Druck farbig gestaltet wurde und dadurch aus dem ohnehin sehr aufwendig hergestellten Buch ein wahres Prachtexemplar machte. Die Holzschnitte wurden nicht einfach nur ausgemalt, sondern mit viel Gespür für künstlerische Wirkung zu Miniaturgemälden ausgearbeitet. Beim Brand der Herzogin Anna Amalia Bibliothek 2004 wurde das Buch gerettet und zum Symbol der Katastrophe. Seit 2015 ist dieses Exemplar zusammen mit anderen Schriften Martin Luthers Teil des UNESCO-Weltdokumenterbes. 

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Abb. 1: Das sechste Siegel, Weimarer Lutherbibel 1534, 965:CLXXXVIIv

Die Apokalypse der Weimarer Lutherbibel ist vor allem eines: Kontrastreich und bunt. Das allein ist noch nicht besonders, passt aber kongenial zum biblischen Text. Der zeigt uns, dass Klimawandel und Pandemie ziemlich wenig mit der biblischen Apokalypse zu tun haben. Die ist laut, abrupt und farbintensiv, voller übernatürlicher Verwandlungen, einem Staccato an Zerstörung und physischen Katastrophen, voller Spektakel und Kontraste. Bestimmte Elemente kehren regelmäßig wieder: Feuer, Rauch und Schwefel, Gold und Erz, Kristall und Edelsteine, leuchtendes Rot, Blau und Gelb, gleißendes Licht und verschlingende Finsternis. Heuschrecken werden groß wie Pferde und stechen wie Skorpione, Meere werden zu Blut, Menschenmassen wenden sich zu Gott oder von ihm ab, leiden oder kämpfen, und zu allem tönen himmlische Posaunen – also das genaue Gegenteil einer stillen und unsichtbar nahenden Gefahr.

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Abb. 2: Der fünfte Engel bläst die Posaune, Weimarer Lutherbibel 1534, 971:CLXXXIXv

Wie in einem Merkbild sollte der Inhalt des Textes offensichtlich in den Illustrationen wiedergefunden werden können. Wenn der fünfte Engel seine Posaune bläst, der Brunnen des Abgrunds mit einem Schlüssel geöffnet wird, Rauch die Sonne verfinstert, Heuschrecken mit menschlichen Gesichtern, Kronen auf dem Haupt und Stacheln von Skorpionen über die Menschheit herfallen, so sind alle Elemente in der Darstellung klar erkennbar. Im Gegensatz zu den Hochformaten im Septembertestament waren nun querrechteckige Bilder gefordert, die zusammen mit dem Text gesetzt wurden und damit Text und Bild enger zusammenbanden. Auf das veränderte Bildformat reagierte der Monogrammist mit einer anderen Perspektive. Blickte man bei Cranach eher erhöht und distanziert auf das Geschehen, liegt der Horizont nun oft niedriger und dem Betrachter näher. Wo Cranach Elemente eher übereinander stapeln musste oder zeichenhaft nebeneinander setzte, ließen sich Handlungen jetzt besser von links nach rechts erzählen.

3.Himml.Jerusalem

Abb. 3: Das himmlische Jerusalem, Weimarer Lutherbibel 1534, 990:CXCIX

Künstlerisch sehr freie Gestaltungen Cranachs konnte der Monogrammist MS korrigieren, indem er zum Beispiel das himmlische Jerusalem statt Cranachs lebendiger, aber unregelmäßiger Stadtkulisse textgetreu als wohlgemessen geordnete Stadt präsentierte. Schließlich kam die Arbeit des Malers hinzu, der die Holzschnitte umgestaltete und teils mit transparenter, teils mit deckender Farbe arbeitete. Plastizität verstärkte er, in dem er schraffierte Partien noch kräftiger färbte und reflektierende Partien hell stehen ließ. Außerdem konnte er den emotionalen Appell von Farbe nutzen und damit dem Text näherkommen – dass zum Beispiel das himmlische Jerusalem ein von farbigen Edelsteinen glänzender Ort sein soll, vermittelt sich im monochromen Holzschnitt reichlich schlecht.

4.Sieben_Schalen_Zorn

Abb. 4: Die sieben Schalen des Zorns, Weimarer Lutherbibel 1534, 981:CXCIVv

Zugleich machen die Darstellungen mit polemischen Symbolen deutlich, wie der Text verstanden werden soll, wenn etwa ein apokalyptisches Tier eine Papstkrone trägt. Illustriert wird nämlich auch Luthers Interpretation, die er in einer Vorrede erläuterte und in Kommentaren neben dem Text erneut erscheinen. Denn da die Offenbarung vor allem aus sprachlichen Bildern bestehe, sei sie besonders kommentarbedürftig. So erkannte Luther in den Übeln und Plagen Ketzerei und Feinde der wahren Christen, darunter namentlich das Papsttum, aber auch Juden oder den Propheten Mohammed. Und zugleich sah er „Trostbilder“, die gewiss machten, dass den wahren Christen nichts geschehen könne. Gerade diese Polarisierung zieht sich durch Luthers Schriften, und Cranach, seine Werkstatt und beeinflusste Künstler lieferten Bilder dafür – ebenso wie für die Gegenseite.

Genau diese Themen sind unserer Gegenwart auch in Zeiten von Klimawandel und Pandemie äußerst nahe: das Überzeugen durch Bilder, das Polarisieren bis hin zur Propaganda, die Zuspitzung und der Kampf um Meinungshoheit. Daher stehen sie auch im Zentrum einer Ausstellung, die als Auftakt zum Jubiläumsjahr der Bibelübersetzung in Weimar Ende 2021 eröffnen wird. Bis dahin kann jeder von zu Hause aus in der Weimarer Lutherbibel blättern, die komplett digitalisiert vorliegt . Solange der Weltuntergang also auf sich warten lässt, kann sich schon jetzt jeder überzeugen von der Kraft der Bilder, polemischer Zuspitzung, künstlerischem Erfindungsreichtum und nicht zuletzt zeitloser Schönheit.