Erfurt - Angermuseum
Die heilige Nacht
Das Motiv der Anbetung illustriert die Weihnachtsgeschichte aus dem Lukasevangelium:
In jener Gegend lagerten Hirten auf freiem Feld und hielten Nachtwache bei ihrer Herde. Da trat der Engel des Herrn zu ihnen und der Glanz des Herrn umstrahlte sie. Sie fürchteten sich sehr, der Engel aber sagte zu ihnen: Fürchtet euch nicht, denn ich verkünde euch eine große Freude, die dem ganzen Volk zuteilwerden soll: Heute ist euch in der Stadt Davids der Retter geboren; er ist der Messias, der Herr. Und das soll euch als Zeichen dienen: Ihr werdet ein Kind finden, das, in Windeln gewickelt, in einer Krippe liegt...
Auf einem Epitaph in Wittenberg aus dem Jahr 1564 singt der Engelschor im Dachstuhl des Stalls von Betlehem: EHRE SEI GOT IN DER HOHE – VND FRIDE AVFF ERDEN – VND DEN MENSCHENEIN
WOLGEFALEN. Sie halten hierzu rote Schriftbänder vor sich, als sollte der Betrachter in ihr Lied einstimmen.
Auf dem Erfurter Bild lässt Cranach die Engel mit offenen Mündern und ohne Notenblatt aus voller Kehle singen. Einige von ihnen haben sich neben dem steinernen Futtertrog niedergelassen, der eher aus einem Stall in Sachsen stammen könnte als aus Bethlehem. Darin liegt das Kind nackt auf einem Laken und scheint trotzdem nicht zu frieren. Da der Hirte rechts warme Fellhandschuhe trägt und die Bäume hinter ihm entsprechend der Jahreszeit kahl sind, dürfte dennoch eine kalte, sternenklare Winternacht dargestellt sein. Im Hintergrund links befinden sich zwei weitere Hirten, denen ein Stern in Gestalt eines in den Feuerfarben Rot und Gelb erhellten Engels die Nachricht von der Geburt Jesu überbringt. Leider ist diese Stelle durch eine alte Restaurierung entstellt. Infrarotaufnahmen zeigen im Bereich des Himmels ein ausgeprägtes Schadbild. Die übrigen Figuren sind jedoch weitgehend von Altersschäden verschont geblieben.
Glaubt man der Überlieferung, so wurde das Bild 1860 von einem Sammler in einem Bauernhaus in Schleswig-Holstein entdeckt und es fand bald Beachtung durch die Forschung. Bereits 1909 wurde es in Bremen erstmals ausgestellt, bevor es 1912 nach Erfurt kam. 1937 war es auf der großen Cranach-Ausstellung in Berlin und 1953 in Wittenberg und Weimar zu sehen.
Etwa 20 Darstellungen aus der Cranach-Werkstatt mit der Geburt Christi sind heute noch erhalten. Mit einer Ausnahme stammen diese Bildtafeln aus der Zeit der Werkstattleitung durch den älteren Cranach. Auch wenn unten mittig an der Wand des Steintrogs das Signet der Schlange mit liegenden Vogelschwingen zu finden ist, wie es nach dem Tod des Cranach-Sohnes Hans etwa seit 1537 verwendet wurde, sind doch die
stilistischen Vorgaben des Vaters bestimmend. Ein möglicher Entstehungszeitraum der Tafel ist nur durch Vergleiche mit ähnlichen Werken zu ermitteln. Hierbei fällt die Darstellung einer 2014 versteigerten Melancholie auf, die von ganz ähnlichen, tanzenden Engelchen umgeben ist.
Vergleichbar gestaltete Madonnen kommen nach 1538 vor und auch Gesichter und Gewandfalten der Frauen auf der Kindersegnung in Naumburg weisen deutliche Übereinstimmung auf. Diese um 1538–1540 entstandene Tafel könnte deshalb einen Hinweis auch auf den Entstehungszeitraum der Erfurter Tafel geben.
Angermuseum
Anger 18
99084 Erfurt
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