Eisenach - Wartburg Eisenach

Der legendäre Max Friedländer hat das Gemälde der Jungen Mutter mit Kind als wichtigen Markstein in der künstlerischen Entwicklung Cranachs d. Ä. bezeichnet. Obwohl sich die Bildkomposition direkt an die Mariendarstellungen mit dem Jesusknaben anschließt, ist es eine Dame der Hofgesellschaft, eine junge Mutter in der reichen Tracht des 16. Jahrhunderts mit ihrem Neugeborenen, das sie auf ein Windeltuch gebettet hält. Hohe Bäume, eine Burganlage auf steilem Fels und eine weitere Feste im Hintergrund bilden die umgebende Szenerie. Allzu gern und fälschlich hat man in der Vergangenheit auf die heilige Elisabeth und eines ihrer drei Kinder verwiesen sowie die Häusermassen mit der Wartburg und dem Armenhospital am Fuß des Burgberges verglichen.

Doch ohne mythische Anspielung kommt auch diese Bildtafel nicht aus. Im Buschwerk unterhalb der Burg, am Original nur mit geübtem Auge und besser noch mit einer Lupe zu erkennen, hockt nackt der heilige Johannes von Antiochia, dem man den Beinamen Chrysostomus (Goldmund) gab. Der Kirchenvater der Ostkirche lebte im 4. Jahrhundert und war ein vielgerühmter Prediger, der als Patriarch von Konstantinopel sozialreformerische Programme durchsetzen wollte, jedoch am Widerstand zentraler kirchlicher und weltlicher Gewalt scheiterte. Im ausgehenden Mittelalter entstand die antiklerikale Legende vom Einsiedler in der Verbannung: Eine Königstochter soll sich in der Wüste in die Höhle des Asketen verirrt haben, aus der womöglich unfreiwilligen Beziehung ging ein Kind hervor. Für dieses Vergehen, für das er wohl niemals heiliggesprochen worden wäre, soll Chrysostomus durch ein Gelübde gebüßt haben, bis ans Ende seiner irdischen Tage unbekleidet und auf allen Vieren kriechend sein Dasein zu fristen. Als Bischof hatte er gegen den Kleiderluxus der Frauen und heidnische Ausschweifungen gepredigt.

Die geflügelte Schlange links unten kennzeichnet die Cranach-Werkstatt. Cranach d. Ä. kannte Dürers Chrysostomus-Blatt und hatte das Thema bereits 1509 in einem Kupferstich aufgegriffen.